Die übliche Polemik
Verfasst von asynchron unter (mad) society, Killerspiele am 2009/03/18
… die sich jetzt allenthalben von den Medien verbreiten lässt zum Thema Ursachen, Auslöser und Prävention künftiger Fälle wie Winnenden, Emsdetten, Erfurt, möcht ich mal gar nicht mit Anmerkungen würdigen.
Was mir "diesmal" besonders übel aufstößt sind die Randdebatten und Unsauberkeiten.
Da wird sich im online-trendigen Kommentarbereich zu Nachrichten bei Nachrichtenmedien (z.B. SZ) ebenso wie im traditionsgemäß oft und gern trolligen Heise-Forums-Ableger bei Telepolis pauschal über alle Berufsstände echauffiert, die mit "Psych-" anfangen, ungeachtet und ganz offensichtlich auch in Unkenntnis der Unterschiede zwischen Psychiater, Psychologe, ärztlichem und psychologischen Psychotherapeuten, Pharmakotherapie und Psychotherapie, von Feinheiten dabei noch ganz zu schweigen. Da wird ein Niveau unterschritten, das sogar beim Boulevard noch als anerkannte Grenze gilt.
Da ergeht sich die (ebenso wie die Opfer und deren Familien bedauernswerte) Familie des Täters in Beteuerungen, er habe sich nicht in Therapie befunden, er wäre "nur" ambulant bei einer Klinik gewesen. H-hm, nein ich hab keine Gesundheitsprobleme, ich war nur ambulant beim Hausarzt. Freut auch sicher niedergelassene Therapeuten, dass ihre ambulante Behandlung keine Therapie ist. Es ist ja verständlich, dass die Familie jetzt verleugnet, eventuelle psychische Probleme beim Sohn gekannt zu haben (allein der Wunsch, sich die Medienmeute vom Hals zu halten, würde bei mir als Rechtfertigung schon durchgehen, und selbst wenn es Vorsatz oder zumindest grobe Fahrlässigkeit war, die Knarre offen rumliegen zu lassen, kann ich mir vorstellen, dass da jetzt erstmal auf biegen und brechen versucht wird, gut dazustehen, die Lage ist schon grauslig genug). Der Versuch ist so aber mehr als lächerlich.
Da wird ganz alarmiert der Zeigefinger hochgereckt, als gerüchteweise aufkommt, der Täter habe evtl. Psychopharmaka genommen (u.a. hier, via fefe, dessen Anmerkung auch gelesen gehört), und man habe doch da neue Untersuchungen aus den USA gelesen, nachdem Antidepressiva aggressions- und selbstmordfördernd seien. Wie bahnbrechend. Die Genese einer Depression zu kennen ist unwidersprochen nicht zwingend nötig für Journalisten. Beim Aufkommen solcher Aspekte das Internet mal ganz kurz nach "antidepressiva selbstmordgefahr" zu durchforschen, halte ich aber noch für ausdrücklich zumutbar. Dann stieße man darauf, dass es regelmäßig genug vorkommt, dass der (in der Depression z. T. stark verminderte) Antrieb bereits wieder erstarkt, die Stimmungslage aber noch nicht aufgehellt wurde, und schon ist das große Rätsel keines mehr, sondern als prinzipiell normaler Ablauf bei der Vergabe von Antidepressiva auf einmal banal. Mal ganz davon abgesehen, dass ja noch lange nicht gesagt ist, dass verordnete Psychopharmaka auch eingenommen werden, geschweigedenn so wie verordnet. Das und vorige Punkt tragen auch nicht gerade dazu bei, die Psych*-Berufe in einem besseren Licht dastehen zu lassen.
Außerdem wird in dem Blogposting als Beweis dafür, dass bereits etliche Täter unter dem Einfluss von Psychopharmaka standen, angeführt, dass sie so unbeteiligt vorgingen, als ob sie das alles völlig kalt ließe. Ist zwar ein an sich nicht so unempathischer Gedanke, geht aber leider auch wieder an dem vorbei, was eigentlich Grundlage ist, um sich über Gewalt und spezielle Auftretensformen unterhalten zu können. Fakt ist, dass es zwei Modi von Gewaltausübung gibt, einmal die affektive, die zu Wirtshausschlägereien und mitunter auch zu Amokläufen führt, und einmal den Jagdmodus, der wohl evolutionär übrig geblieben ist und wie Dr. Jens Hoffmann in der 3sat-Kulturzeit vom 11.03. (hoffe der Link hält noch etwas) es so nett formulierte, wenn man das Bambi streicheln will, kann man es nicht mehr töten, um es zu essen. Bei den Amokläufen, die eine Endabrechnung des Täters sind, ist dieser Modus der logisch verwendete.
Am Ende ergeht sich der Blogposting dann ohnehin in recht breit gestreutem Gewettere gegen die festgestellten Psychopharmaka bei schlimmen Amoktaten, die Medikamente werden dann mal pauschal als Psychodrogen bezeichnet, selbst wenn es sich um ein natürliches Element handelt, das auch natürlich im menschlichen Körper vorkommt, wie Lithium. Wikipedia hätte auch hier mal wieder geholfen, sei es zu Lithium, Fluoxetin (Prozac, Fluctin) oder auch weiterführend zum Serotoninsyndrom an sich.
Da wird sich einer abgeschwallt über sogenannte Amokläufe, die sich bei minimaler Betrachtung herausstellen als ziemlich spezifische Taten von Schülern und Ex-Schülern an ihren Schulen, was sich bei geringfügiger Nachlese als Teilaspekt herausstellen würde und nicht als die Hauptauftretensform. Nicht mal die Häufigkeit wird halbwegs richtig erfasst, obwohl sogar noch eine Suche im Internet dazu Zahlen ergeben würde, die näher an der Realität liegen als die enormst breitgetretenen Schulamokläufe. Von der Geschichte ganz zu schweigen, es ging in Deutschland halt auch nicht erst 1992 los (trug glaub ich jemand in einem SZ-Kommentar bei, wenn ich mich recht entsinne), sondern mindestens schon 1913 (man suche nach: "Hauptlehrer Wagner") – was hat der Mann wohl für bösartige Spiele konsumiert? Oder gar Psychopharmaka eingenommen?
Da kam schon bald der Gedanke auf, die Tat könnte inspiriert worden sein von dem nur weniger Stunden vorher stattgefundenen Amoklauf in Alabama (wohlgemerkt, der wird dann plötzlich auch Amok genannt, obwohl das gar kein Schüler war, komisch komisch), und gleich postwendend ein 12-stündiges Sonder-Spezial geschaltet. Su-per Reflexion, kann ich nur sagen, Hut ab! Wir erkennen den Nachahmungseffekt und handeln komplett gegenläufig. (Schöner Fokus darauf beim Spiegelfechter)
Da erscheint im Wissenschaftsressort eines Nachrichtenmagazins ein Artikel, der vom aktuellen weggeht und Erklärungsansätze aus der Literatur zu erläutern sucht und dann doch irgendwas daraus nicht verstanden oder nur überflogen hat – oder ich bin mal wieder nett und versuche die Möglichkeit einzubeziehen, dass da evtl. eine Redaktion gekürzt hat, was jetzt sinnentstellt dasteht, so richtig gelungen ist das jedenfalls auch nicht. Obwohl man ja schon froh sein kann, wenn jemand überhaupt Literatur heranzieht und nicht einfach nur auf die gewohnten Ziele eindrischt.
Naja und der Rest, der läuft unter der eingangs erwähnten üblichen Polemik, vom reflexhaften Verbellen der aktuell verbrämten Medien (wie Fefe schrieb: "Ich erinnere mich noch an Zeiten, als die Rockmusik angeblich an der Verrohung der Jugend Schuld war."), über eine natürlich zutiefst betroffene Bundeskanzlerin, die noch nicht mal den Ort des Geschehens korrekt mitgeteilt bekommen hat bis zu mal kurz am Rande erwähnten oder auch mal minutenlang zu Wort kommen gelassenen Forschern, die tatsächlich zum Thema Amok arbeiten, aber dann ganz schnell vom üblichen Pfeiffer ersetzt wurden, der jetzt wieder die Debatte mit seinem gewohnten Spiele-Bashing prägt. Aber passt natürlich ins Bild, die paar Millionen Gamer sind ja nach wie vor allen so suspekt, dass man lieber auf die losgeht, anstatt menschliche Rahmenbedingungen zu schaffen, eine Kultur wo man nicht nur am Körper einfach mal Hilfe beim Gesundwerden in Anspruch nehmen darf ohne stigmatisiert zu werden, und und und.
Julia hat geantwortet
Just in dem Moment als ich schon nicht mehr damit rechnete, kam ein Kommentar unter Analog.
Kurz und knapp:
du kannst dir noch sachen kaufen. das kulturelle existenzminimum ist das nicht. hartz-iv muss auf 420 euro erhöht werden, und zwar, weil es gerecht ist.
aber die behauptung, man könne davon nicht „überleben“, das ist einfach unsinn, und dabei bleibe ich.
julia seeliger
Ich schreib jetzt eigentlich nur deswegen einen Blogeintrag als Antwort anstelle eine Kommentars, weil mir das Kommentareingabefeld allzu klein ist, um geordnete Gedanken drin produzieren zu können – und weil ich schon wittere, dass das ein langer und ausgiebiger Reply werden wird.
Also zu Sache.
„du kannst dir noch sachen kaufen“
Nun, das hat jetzt niemand wirklich geleugnet. Die Frage ist nicht, ob man sich noch was kaufen kann, sondern was und wieviel.
Da geht ’s jetzt mit der länge schon los *hust* ich muss das jetzt einfach mit der gefundenen Aufschlüsselung machen (es gibt da übrigens auch noch welche aus „neutraleren“ Quellen, logisch. Ich mach mir jetzt einfach nicht die Mühe, mit Verlaub).
Also, für was ist da der Regelsatz (zum Stand des Dokuments €351) anteilig gedacht:
- Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren: 129,52
- Bekleidung und Schuhe: 34,84 („darunter u.a.“ 20,94 für Kleidung und 7,47 für Schuhe)
- Wohnen, Energie, Instandhaltung: 26,24
- Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände: 25,08 („darunter u.a.“ 1,40 für „Kühlschränke, Gefrierschränke und -truhen“ und 1,56 für „Waschmaschinen, Wäschetrockner, Geschirrspüler“)
- Gesundheitspflege: 12,89
- Verkehr: 15,40 („darunter u.a.“ 0,68 für den „Kauf von Fahrrädern“ und 11,23 für „Fahrkarten für Bus und Bahn (ohne Reisen)“)
- Nachrichtenübermittlung: 30,78 („darunter u.a.“ 23,62 für „Telefon-, Faxgebühren“ und 3,16 für „Internet, Onlinedienste“)
- Freizeit, Unterhaltung, Kultur: 39,93 („darunter u.a.“ 1,29 für „Spielwaren und Hobbys“, 6,38 für „Besuch von Sport- und Kulturveranstaltungen bzw. -einrichtungen“, 5,57 für „Bücher und Broschüren“, 2,77 für „Schreibwaren, Zeichenmaterial“)
- Bildung: 0,00
- Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen: 8,31
- Andere Waren und Dienstleistungen: 27,24 („darunter u.a.“ 3,09 für „Gebrauchsgüter für die Körperpflege“ und 6,17 für „Haarpflege-, Rasiermittel, Toilettenpapier u.ä.“)
So. Und jetzt lassen wir uns das mal schön langsam auf der Zunge zergehen. Es ist alles für eine Einzelperson gedacht. Ich fang mal mit den Punkten an, wo es eigentlich offensichtlich sein muss, dass was falsch läuft.
Ein monatliches Verkehrsbudget von € 15,40. Eine Einzelfahrt mit einem Verkehrsverbund innerhalb eines Innenstadtbereichs kostet um die 2€. Von dem Geld kann man dann also 3x hin und zurück fahren und einmal nicht ganz bis hin. Und das auch nur, wenn man sich kein Fahrrad für 68 Cent kauft. Das ist überspitzt, ich weiß. Die Angabe aber auch. Ein Monatsticket kostet ab 30 Euro (und das auch nur eines, das erst ab 9 Uhr gilt, wer früher bei der Arge antanzen muss, muss mehr zahlen).
Bildung: € 0,00. Ohne Worte. Wahrscheinlich war ’s so gedacht, dass Schüler und Studenten ja eh keinen Anspruch auf ALG2 haben, was aber nicht ganz korrekt ist, es gibt Sonderfälle. Bei denen, die nur einen Maximalanspruch auf € 192 Bafög haben, gibt es ALG2, weil das sogar noch jeder eingesehen hat, dass Bafög allein zu wenig ist. Wird allerdings aufs ALG2 angerechnet, kommt also auch nur der Regelsatz dabei raus. Tja und die dürfen dann aber auch nichts für die Schule brauchen. Mal ganz davon abgesehen, dass € 0,00 auch Minderjährigen zustehen, die mitgehangen-mitgefangen von ALG2 leben müssen und durchaus auch noch zur Schule gehen können/müssen/dürfen/wollen.
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen: € 8,31. In Berlin sind die Döner wohl billiger, ich kenn keinen halbwegs vertrauenswürdigen unter 3 Euro, das billigste Auswärtsessen sind wohl die 1€-Angebote der Fleischbratereien. Oder man macht mal richtig einen drauf und geht zu einem 5€-Mittagstisch, da könnt sogar noch ein Saft statt einem Wasser drin sein. Luxus!
Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände: € 25,08. OK, man kann vermutlich tatsächlich davon ausgehen, dass die Geräte zunächst vorhanden sind und eben grade nicht beschafft werden müssen. Blöd wird ’s nur, wenn eins kaputtgeht. Im Gegensatz zur alten Sozialhilfe wird nämlich eine Reparatur bzw. Wiederbeschaffung nicht mehr getragen.
Bekleidung und Schuhe: € 34,84. Ist zunächst mal so wie bei der Wohnungsausstattung, zunächst sind wohl erstmal Klamotten da. Nicht ohne Sarkasmus behaupte ich jetzt aber einfach mal, dass z.B. der Schuhverschleiß bei einem ALG2ler wohl eher höher sein dürfte als beim Durchschnitt – schließlich muss er das Meiste laufen. Ein Paar Schuhe nachkaufen oder besohlen lassen, das sollte davon wohl auch tatsächlich gehen. Aber was, wenn die Hose auch kaputt ist und man im Frühling, als es noch rosiger aussah, die warme Winterjacke veschenkt hat, an jemand, der sie nötiger brauchte? Zeigt dann Politik sogar modischen Effekt durch die Rückkehr des Zwiebellooks?
Freizeit, Unterhaltung, Kultur: € 39,93. Eine Tageszeitung im Abo kostet um die 30 Euro (hab grad nur bei der FR nachgeschaut, aber die dürften sich nicht so viel nehmen). Von GEZ kann man sich befreien lassen – wenn sie es denn annehmen, außerdem muss das dann wieder regelmäßig wiederholt werden.
Wochenzeitschriften, Magazine oder so kann man dann schon nicht mehr regelmäßig lesen. Oder halt in Bibliotheken, man hat ja auch den ganzen Tag Zeit … Veranstaltungen, Hobbys, Bücher? Entweder – oder!
Wohnen, Energie, Instandhaltung: € 26,24. Also für das, was nicht von den Kosten der Unterkunft gedeckt wird. Ungeachtet dessen, dass mindestens geplant war, die Gerichtskostenbeihilfe für ALG2ler zu streichen wird ja immer noch munter prozessiert und so kann ich dazu grad nicht viel schreiben. Es wurde teilweise schon entschieden, dass sowohl Kaltmiete als auch Strom, Heizung und Warmwasser von der Arge übernommen werden müssen; mein Wissensstand war noch, dass Lichtstrom und Warmwasser da nicht mit reinzählt und falls das Warmwasser gemischt mit dem Heizwasser geliefert wird, eine Pauschale abgezogen wird, und die war von Ort zu Ort verschieden. Unter der Präambel, Lichtstrom und Warmwasser davon zahlen zu müssen, wird ’s kalt und dunkel.
Gesundheitspflege € 12,89. Von Praxisgebühr und Zuzahlung zu Rezepten kann man sich bis zu einem Anteil von 2% des Jahreseinkommens befreien lassen. Was viele nicht wissen. Weiß man es nicht oder hofft man, das mit dem ALG2 werde nicht solang dauern, ist mit dem Betrag ein Arztbesuch (Praxisgebühr) gedeckt, die Verschreibung schon nicht mehr.
Nachrichtenübermittlung für € 30,78 im Monat. Der billigste Telekomtelefonanschluss kostet € 17,95 („Call Start“), und damit hat man dann noch kein Gespräch geführt. Naja es gibt ja jetzt so Superflatangebote für € 20 all inclusive, haben die sicher gemacht, damit HartzIVler auch noch kommunizieren können. Allzuoft darf man trotzdem nicht versuchen, seinem Fallmanager über die 0180-Hotline was ausrichten zu lassen, sonst ist das Budget gleich weg.
Essen und Rauchen: € 192,52. Nehmen wir mal (zugunsten des Regelsatzes) an, es handelt sich um einen genügsamen, leitungswassertrinkenden Nichtraucher. Auf einen Standardmonat mit 30 Tagen umgerechnet sind das dann rd. € 6,42 für Essen pro Tag. Nur vom Discounter könnte das sogar hinkommen, sogar mit etwas Obst gelegentlich. Die Rechnung, die Sarrazin aufgemacht hat, taugt allerdings wiederum nicht, man kommt halt nicht an ein Würstchen für 40 Cent, dann hat man wenigstens 4 davon, und muss die auch irgendwann essen, vor sie schlecht werden, so einfach geht ’s also nicht mit der billigen und trotzdem abwechslungsreichen Ernährung. Zudem laufen persönlich geschätzte 98% der Leute ohne Kaffee/Tee überhaupt nicht rund und nur von Leitungswasser zu leben, kann beim „soziokulturellen Existenzminimum“ wohl auch nicht gemeint gewesen sein. Auf den Punkt würd ich gern lauter motzen, als ich grad belegen kann, der Selbstversuch geht mir noch ab und subjektiv wahrgenommen gibt ’s beim Discounter inzwischen mehr und mehr auch halbwegs brauchbares Futter – an der Stelle geb ich für heute morgen mal zu, es könnte reichen. Allerdings hat Julia auch selbst einen dokumentierten Selbstversuch verbloggt, vom Regelsatz (allerdings abzüglich des mitveranschlagten Tabaks, also nur € 4,25/Tag) zu leben.
Andere Waren und Dienstleistungen: € 27,24. Klingt so undefiniert auch nicht schlecht. Allerdings fällt da ja wieder wirklich alles rein, Spülmittel, Seife, Rasierer, Shampoo, Conditioner, Deo, Bodylotion, Aftershave, Duschgel, Putzschwamm, Zahnpasta, Zahnbürste, Klopapier, Taschentücher, Küchenrolle, Makeup, Cremes, Nahrungsergänzungsmittel (den kann ich mir grad nicht verkneifen *hust*) … und auch noch alles andere, was nicht aufgeführt wurde: Versicherungen, Tierfutter, Sprit – denn ein Auto darf man tatsächlich noch haben, wenn ’s nicht viel wert ist -, Steuer fürs Auto wenn man denn noch eins hat, und und und. Das Auto mal beiseite, aber dass z.B. keine Versicherung mehr „inbegriffen“ ist, ist auch wieder so ein Knackpunkt. Grad, wenn jemand nichts mehr hat, sollte man ihm doch noch die nötigste Absicherung zugestehen, sich nicht auf ewig zu verschulden, wenn was passiert, will sagen, eine Privathaftpflicht wäre doch nicht zuviel verlangt – meine kostet unter 5€/Monat. Könnte man sagen, dann steckt die doch in dem Satz mit den Dienstleistungen sicher schon drin, aber da kann ich nur fragen: Wo denn?
Das war mir jetzt ein Bedürfnis, das mal so auseinanderzunehmen.
Wenn man unbedingt will, kann man sicher sagen, die Stellen, wo es nicht reicht, sind von denen „quersubventioniert“, wo ich nicht die ganz große hieb- und stichfeste Kritik bringen konnte, und überhaupt, jeder hat doch noch irgendwelche Rücklagen. Nee, hat der ALG2ler eben nicht. Es gibt einen „Grundfreibetrag für Erwachsene in Höhe von Lebensalter x 150 € (min 3100 € und max 9750 € ) für jede erwerbsfähige Person in der Bedarfsgemeinschaft und deren Partner(§ 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II)“. Bis man ALG2 kriegt, muss man sein „sauer verdientes Geld“ erstmal bis auf diesen Kaffeesatz von Restvermögen ausgeben. Deckt man davon das, was man quasi in der Umstellung über den Satz ausgegeben hat, oder weil man sich eben doch mal nen neuen Kühlschrank kaufen muss, ist auch das schnell weg.
„hartz-iv muss auf 420 euro erhöht werden, und zwar, weil es gerecht ist.“
hmm, 70€ mehr. wo werden die hinveranschlagt? aufs essen, weil der warenkorb von 2003 stammt und von der inflation überholt wurde?
und überhaupt, gerecht. gerecht für wen? gerecht in bezug auf was?
gerecht für die indoktrinierten, die solidargemeinschaft in einem atemzug mit gutmenschen und sozialschmarotzer nennen? oder gerecht für die, die bei aller verinnerlichen protestantischen leistungsethik es trotzdem nicht schaffen, wieder in lohn und brot zu kommen und dafür dann wenigstens eine monatskarte für den öpnv kaufen können, um vor all die schönen häuser zu kommen, zu denen sie den eintritt nicht zahlen können?
oder für wen?
„aber die behauptung, man könne davon nicht „überleben“, das ist einfach unsinn, und dabei bleibe ich.“
Julia, du hast mir den Selbstversuch voraus. Allerdings wurde mir aus deinem Blog nicht klar, wie lang der gedauert hat. Und wie du selbst so schön schriebst, „ich bin es gewöhnt, von wenig Geld zu leben – die meisten Studierenden haben weniger als Hartz-IV“. Das ist eine Seite der Medaille. Die andere ist zum Einen, ich benutze deine Worte, „wie achtlos mit Menschen in Not umgegangen wird“ und dass zum Anderen eben nicht jeder, der auf ALG2 zurückfällt, gewöhnt ist, mit ‚wenig‘ Geld auszukommen.
Das entfernt sich ein wenig vom reinen Überleben, aber darf meines Erachtens auch nicht unter den Tisch fallen: Zu den wohl meistzitierten Abschreckbeispielen gegen ALG2 wird gern der Ingenieur herangezogen, Mitte-Ende 50, mit dem Bewusstsein einer gesicherten Existenz verliert er den Job, findet altersbedingt keinen neuen mehr und rutscht ins ALG2. Spätestens angesichts der aktuellen Wirtschaftslage sollte einem klar sein, dass das keine rektal abgesonderte Korinthe mehr ist, sondern reale Bedrohung für letztlich jeden, der sich noch in einem sicheren Job glaubt. Der gute Ingengieur muss nun also alle Ersparnisse aufbrauchen, wenn er sich mal ein nettes Häuschen für seine Familie gebaut hat womöglich auch noch das verkaufen (Obergrenze für selbstgenutztes Wohneigentum ~120m²), im Akkord Bewerbungen schreiben und zu Trainingsmaßnahmen einrücken, damit er für die Zeit aus den Statistiken verschwindet. Und sich dabei komplett von allem bisher geführten Leben verabschieden. Hat er ja nicht mehr das Geld für.
Ich kenn auch Gegenbeispiele, die sich hinstellen und sagen, also seit sie ALG2 kriegen, soviel Geld hätten sie noch nie gehabt und das dann auch gleich völlig unreflektiert für alle postulieren, dass das doch dicke genug sei – nur es ist nicht Jedermanns Sache, das Bettchen für das Kind unterm Herzen vom Sperrmüll zu holen. Mir persönlich würd ’s grausen, und ergo kann ich mich der Aussage eben auch grade nicht anschließen, wie toll und wie viel Geld das doch ist.
Um aufs reine Überleben zurückzukommen, Clochards (und ich benutze ganz absichtlich einen romantisierenden Begriff) leben wahlweise von weniger oder richtig gut von ALG2, und nach dem Krieg haben die Leute noch ganz anders überlebt, aber war die Grundanforderung an ALG2 wirklich nur die reine Sicherung der ÜBERlebens? Oder sollte da ein Minimum an Einbindung in die Kultur, das gesellschaftliche LEBEN gewahrt bleiben, ein Minimum, dass man nicht gleich als „Hartzie“ erkannt wird, oder ganz pathetisch, ein Minimum an Menschenwürde?
Und das alles hier (bis hier schon >2k Wörter) bezieht sich noch nur auf die Höhe des maximal zugestandenen Geldes und noch nicht einmal auf alle anderen unerfreulichen Erscheinungen, die mit HartzIV in Zusammenhang stehen.
Davon hast selbst du, Julia, ansatzweise geschrieben und es auch kritisiert, aber dabei hast du auch nicht deinen persönlichen Elfenbeinturm verlassen. Nur ein Beispiel: Der Antrag. Wer Bafög-Anträge kennt, wahlweise auch Anträge für Wohnberechtigungsscheine,seine Steuer noch von Hand erklärt oder auch nur ein Faible für Formulare hat, der mag mit dem Antrag tatsächlich ganz gut zurechtkommen. Die Frage aber, die man sich doch erst recht stellen muss, wenn man sich in der Politik engagiert, ist doch die: Wird das allen gerecht? Und da kommt auch schon wieder ein klares Nein. Es gibt auch Leute, die verstehen auf Anhieb eine Heizkostenabrechnung, die Mehrheit aber tut es nicht.
So, auch wenn ich mich noch länger über alles Mögliche an und um HartzIV verbreiten könnte, es ist schon wieder frühmorgens. Der Rest folgt bestimmt irgendwann …
Nochmal Lesebefehle
Verfasst von asynchron unter HartzIV, Link, Überwachung am 2009/02/25
1. Anne: "Wenn du was sagst, ist es verdächtig, wenn du nichts sagst, ist es noch viel verdächtiger"
Ein Interview über die Zeit vor und nach der Verhaftung von Andrej Holm, Annas Blog und das Leben, mit so einem Verfahren, veränderter Privatsphäre usw.
2. FR: "Hartz IV: Arge darf kein Lohndumping fördern"
(Hier noch ein dauerhafterer Link gleichen Inhalts von der Netzeitung)
Erfrischend. Wird hoffentlich rechtskräftig (bleiben).
Und ich kann mich zurücklehnen mit den alten Spruch: "Ich hab ’s doch gesagt, oder zumindest sowas ähnliches"
Analog
… zum schon althergebrachten Kommentar bzgl. der Erziehung von Kindern mit oder ohne Gewalt – "Mir hat ’s auch nicht geschadet" – scheint jetzt das nächste Bashing aufzukommen.
Beim Shopblogger als Kommentar #2 steht da von einer gewissen Julia Seeliger:
Aber diese Behauptungen, man könne sich von Hartz-IV gar nichts mehr kaufen, geht mir langsam auf den Geist. […] Bevor hier über neoliberale Leute oder so hergezogen wird (nämlich über mich): Ich bin selbst mit sehr wenig Geld aufgewachsen, viel weniger als Hartz-IV-Kindersatz. Für meine Mutter war das nicht schön, wir Kinder haben nix gemerkt.
Jetzt hat die Guteste sogar ein eigenes Blog und wirkt mal so reingelesen noch gar nicht mal so verkehrt. Das Geblubber über HartzIV krieg ich aber trotzdem nicht auf die Reihe und zudem wirkt einiges doch arg naiv für jemanden mit abgeschlossenem Studium in "technical journalism" und noch dazu Politikerfahrung (laut "about Julia").
Meinen zwei Stammgästen ist meine Meinung bzgl. HartzIV wohl geläufig, für alle anderen in aller Kürze:
HartzIV ist eine enorme Fehlentwicklung und ein Rückschritt hinter bereits erreichte Arbeitnehmerrechte und solidarische Errungenschaften sondergleichen. Das fängt bei den menschenverachtend niedrigen Regelsätzen an – da lege ich doch allen Interessierten Nahe, mal nach "HartzIV regelsatz aufschlüsselung" zu scrooglen oder sich meine erst- und zweitbeste Fundstelle/2. Fundstelle anzuschauen und sich zu überlegen, wie hoch die eigenen regelmäßigen Ausgaben pro Sparte so sind bzw. was das eine oder andere realistisch betrachtet eigentlich tatsächlich kostet -, geht bei den hinten und vorne nicht ausgereiften Gesetzesnormen weiter und hört bei den Maßnahmen zum Statistikenbeschönen nicht auf. Von den ganzen Erpressungen noch ganz abgesehen. Da wird de facto Sklaverei betrieben, wenn sich keiner mehr dagegen wehren darf, für eine läppische so genannte Aufwandsentschädigung, die den Aufwand oft genug nicht mal abdeckt, Arbeiten zu verrichten, die früher regulär Beschäftigte geleistet haben [dazu ist mir ein Fall persönlich bekannt, wo soundsoviele 1-Euro-Stellen eingerichtet wurden – kurz vorher wurde die gleiche Zahl regulärer Stellen abgebaut, ein weiteres Beispiel wo die Verdrängung normaler Arbeit durch 1-Euro-Jobber zumindest vermutet wird, stand letztens in der Frankfurter Rundschau]; da wird der abgewrackte Arbeitsmarkt auf dem Rücken derer ausgetragen, die per Zwang eine "Eingliederungsvereinbarung" unterzeichnen mussten, sich zu soundsovielen Bewerbungen pro Woche/Monat verpflichtet haben, deren Kosten dann wiedermal nicht übernommen werden und von irgendeinem Bestandteil aus dem Regelsatz abgeknappst werden müssen.
Sogar Julia Seeliger wunderte sich doch ein wenig, warum ein HartzIV-ler nicht mehr Freizügigkeit genießt, sondern sich Ortsabwesenheit vom Personal Case Manager genehmigen lassen muss. Dabei leuchtet einem das doch direkt noch ein, mit dem Geld kann man gar nicht herumreisen, wenn das einer doch will, muss sowieso was faul sein …
Wenn dann obendrein noch gut abgesicherte Leute vom Lohnabstandsgebot faseln und dabei nicht etwa eine Erhöhung der mindestens angebrachten Grund-Sätze im Sinn haben sondern eher eine noch weitere Absenkung des Zugemuteten, hört sich jedes Verständnis bei mir auf.
Ich könnte jetzt auch guten Gewissens, so wie Julia, in mein Blog schreiben, im Prinzip ist HartzIV eine gute und richtige Sache und dann Kritikpunkte aufzählen, wo noch etwas nachgebessert gehört. Letztlich bleibt der Ansatz der Gesetzgebung aber eine Ausgeburt einer menschenverachtenden und rechteignorierenden Grundhaltung und die Korrektur zu einer menschenwürdigen Unterstützung wäre so weitreichend und vor allem auch vom dahinterstehenden Grundgedanken so weit entfernt, dass ich es eben doch nicht tun kann.
Ansonsten empfehle ich Julias Blogbeitrag – und vor allem die Kommentare drunter, da muss ich hier nicht alles wiederkäuen und für meins ausgeben …
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Im alten Blog antwortete Julia:
du kannst dir noch sachen kaufen. das kulturelle existenzminimum ist das nicht. hartz-iv muss auf 420 euro erhöht werden, und zwar, weil es gerecht ist.
aber die behauptung, man könne davon nicht "überleben", das ist einfach unsinn, und dabei bleibe ich.
julia seeliger
Realitätsbezug: 0
Wie weithin zu lesen war, haben mal wieder ein paar Richter korrigieren müssen, was die politische Kaste so verbrochen hat, diesmal hinsichtlich der Sätze für Kinder, deren Eltern ALG2 beziehen. Ganz Mutter der Nation schaltete sich dann die Familienministerin ein und forderte, die Sätze für Kinder müssen nochmal am tatsächlichen Bedarf ausgerichtet werden.
Mal ganz davon abgesehen, dass ich den Mittelteil der Meldung nicht verstehe – die einen ruhen sich ja darauf aus, dass die Sätze demnächst eh um ein paar Brosamen steigen, und die anderen betonen dann ganz groß, dass das ja der komische Koalitionspartner zu verantworten hat, man selbst käme ja nun um nichts in der Welt auf die Idee, da mehr Geld zu verteilen. Öhm. Vielleicht ist da ja was einfach falsch wiedergegeben worden, aber hat da nicht grade ein Gericht geurteilt, dass es so wie es ist, nicht in Ordnung ist? Und dann stellen die sich noch hin und sagen trotzig-beleidigt, wir wollen das aber schon so lassen?
Was mich aber tatsächlich wieder dazu treibt, mich hier drüber zu verbreiten, ist der Schluss der Nachricht.
Von der Leyen betonte, bei der Neufestlegung der Sätze müsse das Lohnabstandsgebot beachtet werden. Erwerbstätige Eltern müssten am Ende mehr Geld im Portemonnaie haben, als wenn sie Hartz IV beziehen. «Denn sonst zementieren wir Kinderarmut, weil der Anreiz, Arbeit aufzunehmen, fehlt», warnte die Ministerin.
Es ist natürlich alles schon zigtausendmal gesagt worden, aber ich kann es immer wieder nicht fassen. Da putzen sie sich mit den absurdesten Mitteln die Statistiken schön, um behaupten zu können, es wären doch gar nicht so viele Leute arbeitslos, um damit natürlich auch gleichzeitig denen, die es "trotzdem" sind, den schwarzen Peter zuzuschieben. Da wehren sie sich mit aller Gewalt gegen alles, was die Vollausbeutung der Lohnsklaven auch nur mildern könnte, und faseln dann von Lohnabstandsgebot. Ist "denen" eigentlich mit einer einzigen Hirnzelle bewusst, dass es erschrecklich viele Leute gibt, die ihre Arbeitsmoral dermaßen gefressen haben, dass sie es mit sich machen lassen, für einen Witz von einem Hungerlohn zu arbeiten, der dann gleich so niedrig ist, dass sie immer noch zum Bezug von Ausgleichsleistungen berechtigt sind, um damit überhaupt ALG2-Niveau erreichen?
Aber das Schlimme daran ist ja nicht, dass es genug verblendete oder womöglich auch einfach nur gut geschmierte Politclowns gibt, die solche Propaganda verbreiten, sondern dass es funktioniert, und das dummgehaltene Volk es auch noch glaubt. Wieder mal graust es mir.
Schnipsel und verhinderte Kommentare
So unbedarft, dass ich mich hinstellen würde und fragen: Was ist eigentlich dieses Twitter bin ich ja dann auch nicht, allein mir fehlt irgendwie immer noch die Einsicht in … einen auch nur irgendwie gearteten Nutzen. Udo Vetter hat jetzt neuedings immer eine Handvoll Twitter-Messages in seinem Blog stehen, und das ist nicht unamüsant. Trotzdem, mich haben ja schon SMS genervt 😉
(btw, es ist ja auch irgendwie bezeichnend, wenn man bei dem verlinkten Twitter-Recycling-Beitrag, letzter Unterpunkt, an 129a denkt und sich dann wundert, was Schellack damit zu tun hat …)
Auch eine innovative Variante einer Beziehungsführung: Auf sich schießen und das dann einfach auf sich beruhen lassen (Fundort). Find ich das jetzt einfach nur gesäßcool oder total bindungsgestört?
Reaktionäre Abgründe habe ich auch mal wieder zielsicher gefunden, was letztlich nicht anders zu erwarten war. Es ist unterm Strich logisch, dass sich unter einer Geschichte wie dieser geschwind eine Meute einfindet, die aus der jugendlichen Mücke gleich mehrere kulturpessimistische Elefanten macht. Dass so große Humanisten wie das, das sich in den Kommentaren dort "St@TiC" nennt, dann auch keine Ahnung haben, was es mit antiautoritärer, selbstregulativer usw. Erziehung auf sich hat, ist genauso berechenbar. Ebenso, dass ich immer noch nicht die innere Ruhe gefunden habe, solcherlei Pöbel einfach unten liegen zu lassen.
Außerdem muss ich noch einen Gruß loslassen und tröstend anmerken, dass das vielleicht kein Schwein, aber doch noch immerhin ein anderer Gelegenheitsblogger gelesen hat. Mir lag ja auch irgendwas in den Fingern, das Debakel da zu kommentieren, aber irgendwie ist es ja auch müßig. Krieg ich nur Sodbrennen, Magendruck, Völlegefühl, und da helfen auch keine keinen Kaubonbons.
Stoßseufzer von links
Verfasst von asynchron unter Linke unter sich am 2009/01/04
In letzter Zeit klick ich mich immer mal wieder durch das, was die örtliche und überregionale linke Szene so im Internet verbricht, und verzweifle doch immer wieder. Letztens mündete mein Entsetzen in dem Ausruf: "Sperr fünf linksradikale in einen Raum und sie gründen sieben Splittergruppen!" Da tummeln sich fröhlich Anti-Dies, Anti-Das, Anti-Jenes und zu den meisten noch die passenden Anti-Antis, wurschteln im besten Fall redundant nebeneinander her, und enden doch meistens im gegenseitigen Bashing und empört-theatralischer Selbstauflösung um aus den verbliebenen vier Mitgliedern mindestens zwei neue Aktionsgruppen zu gründen.
Die ganze Energie, die da verschwendet wird … na so naiv, dass man mit der schon die Revolution hätte durchziehen können, bin ich dann auch nicht 😉 – aber sie wäre sicherlich anderswo besser angelegt als in verzweifelten Selbstzerfleischungskämpfen.
Am Ende vom Lied bin ich u.a. deswegen autonomer Anarchist (sic!) – autonom neben der gängigen Bedeutung auch im wortwörtlichen Sinne und zwar deshalb, weil ich meine Position für mich selbst definiere und nicht an irgendwelchen Initiativgruppen. Ich hab keine Angst, meinen Standpunkt darzulegen und bin, denke ich, rethorisch eloquent und zur Not auch stur genug, ihn zu behaupten, jedenfalls scheue ich nicht, dass ihn jemand in der Luft zerreißt, selbst wenn ich kein ausgeklügeltes Manifest im Hinterkopf habe. Aber die Vorstellung, optimistisch oder auch skeptisch in so eine Runde Vollspacken zu geraten, die sich vordergründig was auf die Fahnen malen, zu dem ich auch stehen will, und die dann doch nur jedwede Bissigkeit ausleben müssen um ja dem radikalen Anspruch an sich selbst genüge zu leisten, davor gruselt mir so sehr, dass ich schon gar keine Lust mehr auf irgendwelche Grüppchen habe. Davor ekelt mich so sehr, dass ich meine Überzeugung da gar nicht hintragen will, auf dass sie nicht beschmutzt werde.
Allein schon die völlig verkrampfte Geschlechtsneutralität mit all ihren Auswirkungen von $Sonstwasse/innen über $SonstwassInnen bis hin zum mir erst jüngst begegneten $Sonstwasse_innen, das, so war zu lesen, auch noch den Transgender-Bereich mit einschließen soll – ich kann da nur den Kopf schütteln. Ich bin ja selbst doch ziemlich offenkundig ’ne Frau, und reagiere durchaus spitzfindig auf diverse Unterschlagungen von weiblichen Formen geschweigedenn Interessen, aber das find ich einfach nur peinlich. Aufrechte aus dem antisexistischen Lager (ha, um jede neutrale Form herumgeschrieben, ätsch!) behaupten an der Stelle sicher, ich sei nur vom patriarchalischen Diktat verblendet, aber ich fühle mich doch in einem Text nicht weniger angesprochen, nur weil da durchgängig die männliche Form verwendet wird. Im Gegenteil bezeichne ich mich selbst lieber mit der männlichen Form, weil das komische Anhängsel "in" doch irgendwie das fünfte Rad am Wort ist. Dabei schwingt auch irgendwas mit zwischen einem minderwertigen Gefühl und einer Entschuldigung fürs nicht Perfekte bei der "in"-Form mit, und nur da würde ich mir den Vorwurf noch gefallen lassen, doch verblendet zu sein. So ganz auseinanderklamüsern kann ich es jedenfalls nicht, wo das Gefühl herkommt. Die krampfhafte Neutralformulierung spielt dabei aber konkret auch eine Rolle. Anyway, Kunden vereinbarten früher oft mal einen Termin mit dem "Herrn" Asynchron, um dann ganz beschämt zusammenzuzucken, wenn ich aufkreuzte – war halt ein Job, bei dem man nicht unbedingt dachte, dass eine Frau ihn erledigen werde. Aber das hat mich doch nicht gestört, im Gegenteil. Die Arbeit wurde schmunzelnd erledigt, und dann ging ich mit der Gewissheit weg, dass der mich erstens nicht so schnell vergessen und zweitens anderen Kolleginnen gegenüber mal eine andere Einstellung an den Tag legen wird.
Und dann die Geschichte mit den Klamotten bzw. speziell dem einen bestimmten, zuletzt auch mainstreammodisch ausgebeuteten Accessoire. Dazu hab ich selbst schon mal vorsichtig was geschrieben, Woschod hat noch viel feinere Links dazu. Dem füg ich gar nicht mehr viel hinzu, nur das: Wer meint, meine politische Einstellung bzw. Correctness an dem festmachen zu können, was ich mir nach Tageslaune an den Körper bzw. in dem Fall den Hals hänge, glaubt auch, kriminelle Neigungen oder ethnische Abstammung an körperlichen Merkmalen festmachen zu können.
Naja. So könnt ich noch stundenlang weiterschrieben und jedem Extrakorrektradikalen sein Fett verpassen, aber die Beschwerde muss jetzt erstmal wieder genügen. Hey, es ist fünf Uhr früh …
Beim nächsten Ton ist es: Amok
Verfasst von asynchron unter (mad) society, (Medien)Echo am 2008/12/18
Einen neuen Schulgong für den Fall eines Amoklaufs malt sich die Karlsruher CDU aus (via). Beim Erklingen sei die ausgerufene Verhaltensregel, sich in den Klassenräumen zu verschanzen.
Sind ja auch so häufig geworden, diese Schulamokläufe, dass man dafür ein eigenes Klingelzeichen braucht. Bravo Propaganda.
Davon abgesehen, von dem Klingelton weiß ja dann auch der mutmaßliche Amokläufer. Da bietet sich doch dann folgendes Vorgehen an: Initial die ersten Opfer auf die ‚klassische‘ Amoktour, dann den Knopf für den Amokalarm drücken oder auch gerne drücken lassen und dann an strategisch wichtigen Stellen das Haus in Brand stecken. Anschließend muss er sich nur noch an einem günstigen Plätzchen auf die Lauer legen …
Ich kann ’s nicht mehr hören
Ohne mich jetzt über den ökologischen Sinn bzw. Nutzen des Glühbirnenverbots auslassen zu wollen (hab einfach nur keine Lust, lang rumzurecherchieren, außerdem geht ’s darum gar nicht), nervt mich an der medialen Bearbeitung des Themas ganz gehörig das Rumgeheule, die Sparlampen (im Haushalt sparen sie ja auch tatsächlich Energie, nur die Bilanz vermag ich nicht zu überblicken), verbreiteten ach so ein kaltes Licht. Grad wurde auch noch umweltbewusst darauf hingewiesen, bei kühlerer Lichttemperatur würde mensch die Heizung 2-3° wärmer stellen und so verpuffe jeder Energiespareffekt.
Mag ja meinetwegen sein. Aber was soll das Gesülze, wo das gleiche Medium erst unlängst ausgiebig über die Lampen informiert hat und ganz dick herausstrich, dass es verschiedene Farbvarianten gibt – Tageslichtqualität für Arbeits- und Büroräume und gelblicher für Wohnräume? Es steht ja jedem frei, beim Birnenkauf – ist schließlich Vertrauenssache! – den freundlichen Marktmitarbeiter mal eben zu interviewen, welche Farbe die Birne ausstrahlt.
Persönlich hab ich da noch nicht mal jemals drauf geachtet, die ganze Wohnung mit Sparleuchten ausgestattet und überall leuchtet es wohlig-schummrig-gelblich. Oder liegt das am Ende am Nikotinbelag … *kopfkratz*