Mainstream vs. Schottern


Der Widerstand von Gorleben ist zu einer Volksbewegung von Hausfrauen, Pfarrern, Lehrern und Bauern geworden. Doch wenn die Gewalt den friedlichen Protest überschattet, ist das ein Fiasko. Denn so kann sich die verbohrte Atompolitik als Hüter von Recht und Ordnung stilisieren […] Gewalt sei nichts anderes als Vernunft, die verzweifelt: Dieser Satz stammt vom spanischen Philosophen Ortega y Gasset. Aber als Entschuldigung für die Atom-Gewalttäter ist dieser Satz unbrauchbar und als Erklärung für die Anschläge auf den Schienenverkehr untauglich. Wer ein Gleisbett zerstört, ist genauso ein Straftäter wie der, der den Bahnverkehr mit Wurfankern sabotiert oder Gleise zersägt, wie das in früheren Jahren geschah. Wer so etwas tut, ist nicht verzweifelt, sondern gefährlich und dumm. Die Gefährlichkeit solcher Störer ist offenkundig. Ihre Dummheit ergibt sich daraus, dass sie ihrem angeblichen oder echten Anliegen nur schaden. Ihre Anschläge erschlagen die seriösen und berechtigten Argumente der Atomgegner, sie lenken ab von einem berechtigt harten und engagierten, aber friedlichen Protest gegen eine verkorkste Energiepolitik. Gewalt verwandelt eine so wichtige energiepolitische Debatte in eine Diskussion über innere Sicherheit.

schreibt Heribert Prantl in der SZ.

Mit der Friedlichkeit ist das so eine Sache …

Eine Latschdemo jenseits des erlassenen „Sperrgebiets“ oder ein Sit-In auf irgendeiner Wiese wäre zwar schön friedlich. Würde aber im Höchstfall einen Nebensatz in den Nachrichten erreichen, mehr aber auch nicht.
Das große Medienecho, dass die Castor-Transporte mittlerweile erfahren, hängt auch damit zusammen, dass es eben nicht nur Singkreise, Protestnoten, Lichterketten und kleine Aufmärsche im Nirgendwo gegen Atomenergie gibt, sondern massiven, aktiven, kreativen Protest und eben auch konkreten Widerstand.

Jetzt wird wieder übers Schottern debattiert, als den Eingriff in den Schienenverkehr an sich oder auch die Leichtfertigkeit bei der Verbreitung der Idee bzw. Durchführung einer Straftat (lawblog). Trotzdem heiße ich das gut. Es ist ja nicht so, dass da heimtückisch und heimlich Transportwege manipuliert würden, sondern es geschieht ganz offen angekündigt, laut und sichtbar. Die Idee an sich ist da auch nicht neu, die Wendländer haben schon früher Straßen untertunnelt, so dass die Castoren dort nicht fahren konnten. Das Schottern ist da nur die Erweiterung auf ein größeres Einsatzgebiet und letztlich auch leichter wieder zu beheben. Dass das Schottern eine Kontrolle der Transportwege erst erforderlich machen würde, die so vorher nicht stattgefunden hätte, nehme ich nicht an, und würde es auch nicht glauben. Auch die Ankettaktionen gehen im Gleisbett vonstatten. Wo zieht der Prantl die Grenze zwischen dem friedlichen Widerstand in Form von Sitzblockaden, Anketten an die Gleise – ja wie, unter den Gleisen durch, also durch den Schotter – und Abtragen von Schotter? Wohlgemerkt, moralisch bitte, nicht anhand des StGB. Und zur Leichtfertigkeit: Es bleibt immer noch jedem selbst überlassen, ob er schottert oder nicht.

Überhaupt nochmal die Sache mit der Friedlichkeit.

„Wir gehen davon aus, dass einige hundert gewaltbereite Autonome die Castor-Proteste für ihre Zwecke missbrauchen wollen“, sagte Verfassungsschutzpräsident Hans-Werner Wargel der Neuen Osnabrücker Zeitung.

(auch SZ, unter einer Bildstrecke)

Das ist doch nichts anderes als der Versuch, mit dem Schreckgespenst vom gewaltbereiten Autonomen Stimmung zu machen, Stimmung gegen die, die ihre Überzeugung für so wichtig halten, dass sie sie mit mehr als Latschen und Sitzen kundtun. Was sollen denn die „Zwecke“ der „Autonomen“ sein? Das wird wohl schon als bekannt vorausgesetzt, sinnloses Chaos und so Zeug wahrscheinlich.

Dabei reden wir da die ganze Zeit noch von Aktionen, meinetwegen auch Gewalt gegen Sachen, gegen Gleise, gegen Schotter. Die Gewalt gegen die Demokratie, gegen die Umwelt, gegen die Gesundheit der Menschen, die spielt mal wieder keine Rolle. Mit Abwägungen am Strafgesetzbuch oder an der absoluten Friedfertigkeit entlang kommt man, das haben die letzten Jahre gezeigt und das zeigt aktuell auch S21, nicht weiter. Und so nett der Prantl sich sonst äußern mag, diesmal ist er zu brav. Die kleine Handvoll Leute, die Hakenkrallen geschmissen hat, die Gleise angesägt hat, die Straßen untertunnelt hat, haben den Castor-Protest in den letzten Jahren nicht diskreditieren können und das können auch Schotterer nicht. Die Option, die Prantl heraufbeschwört, dass sich die Regierenden als Hüter von Recht und Ordnung profilieren können, verspielen sie ohnehin von alleine durch überzogene Polizeieinsätze ausgerechnet jetzt, wo die Öffentlichkeit durch S21 dahingehend sensibilisiert ist [dass es plötzlich ganz ganz böse ist, Leute zu verdreschen und mit Wasserwerfern anzugehen, nur weil man ihnen beim besten Willen keinen Blackblock mehr andichten kann, steht dabei noch auf einem ganz anderen Blatt].

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