Zahlen zum Missbrauch von ALG2


Web.de titelt massenwirksam gleich oben auf der Startseite "Missbrauch von Hartz IV nimmt zu". Differenzierter geht die Welt die Sache an: "Zehntausende Hartz-IV-Empfänger unter Verdacht".

Und was gibt es dazu tatsächlich an Zahlen?

2009 sind 165.000 Straf- und Bussgeldverfahren eingeleitet worden, 1,8 Prozent mehr als 2008. Laut der FR, die unter der gemäßigteren Überschrift "Missbrauch bei Hartz IV nimmt leicht zu" berichtet, ist der Zuwachs auch auf eine gestiegene Personaldecke der Jobcenter zurückzuführen, die jetzt mehr Luft für die Verfolgung haben.

Die Zahl der Fälle, die wegen des Verdachts auf Schwarzarbeit an den Zolll übergeben wurden, stieg um 1,09% (selbst errechnet anhand der in den genannten Quellen + SZ berichteten Zahlen) auf 39.000, den Quellen zufolge ein Zuwachs von 4,9%. Wohlgemerkt, wegen des Verdachts.

13.000 Fälle wurden an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, bei "einem begründeten Straftatbestand" (SZ) bzw. dem Verdacht auf eine Straftat (FR). Auch die Staatsanwaltschaft wird da nochmal ermitteln (müssen), auch da ist noch nichts fix.

126.000 der Verfahren wurden auch zuende bearbeitet, bei rd. 27% erließen die Jobcenter daraufhin selbst ein Verwarnungs-/Bußgeld, das im Schnitt 107 Euro betrug. Rund 14% der Fälle wurden verwarnt, ohne ein Bußgeld zu verhängen. (FR) Zusammen schon mal 41% der bearbeiteten Straf- und Bussgeldverfahren. Insgesamt wurden laut Welt in 74.000 Fällen Bußgelder in einer Gesamthöhe von 3,7 Millionen Euro verhängt, im Schnitt also grade mal 50 Euro. Grade mal, sicher weniger für die Betroffenen, aber grade mal hinsichtlich der Volksseele, die Gerechtigkeit ja an der Schwere der Strafe misst und die Sozialschmarotzer am liebsten lynchen würde – für 50 Euro Bußgeld kann man 1,25x schwarzfahren, beispielsweise.

Vor allem über Abgleichsverfahren, so die FR, sei festgestellt worden, dass 2009 ca. 72,2 Millionen Euro zuviel an Leistungsempfänger ausgezahlt worden seien – 13,6 % weniger als im Vorjahr. 72,2 Millionen klingt viel, geht aber im Gesamtvolumen von ALG2 unter. Der Jahresbericht, über den berichtet wird, liegt anscheinend noch nicht öffentlich vor, wohl aber der von 2008: Da wurden 38,2 Milliarden Euro für ALG2, Kosten der Unterkunft, Eingliederungsleistungen und Verwaltung ausgegeben.

Und die Gesamtmissbrauchsquote? Weltwirtschaftserschütternde 1,9 Prozent.

Nicht nur aufgrund dieser Zahlen hat Thomas Öchsner ganz recht, wenn er in der SZ kommentiert, es sei

unfair, alle Hartz-IV-Empfänger zu diskriminieren und als Faulenzer zu
beschimpfen. Die große Mehrheit sucht verzweifelt einen Job, findet
aber keinen, weil es in der Privatwirtschaft nicht genügend Arbeit
gibt. Es ist deshalb reiner Populismus, eine Arbeitspflicht für
Arbeitslose zu fordern.

 

  1. #1 von Anders van Zommeren am 2010/02/07 - 11:48 am

    Dabei trägt niemand mal die Zahlen zusammen, die die deutsche Industrie und Konzerne produzieren, die der „Freigesetzten“, nämlich. Hier 8.000, da 10.000 Leute, die aufgrund betriebswirtschaftlicher Überlegungen (nicht wegen Faulheit oder Ineffizienz) ihren Job verlieren. All diese Menschen sind/waren gut, wurden aber nach jeweiliger Manager-Meinung nicht mehr gebraucht, also: weg damit. Würde man die ganzen Meldungen über Massenentlassungen und staatliche Hilfe für „Not leidende Banken“ endlich mal sammeln und diesen ganzen „Missbrauchs“-Statistiken adäquat gegenüberstellen, die Diskussion müsste eine andere werden.

    In all dieser Zeit wundert mich noch immer die nationale „von der Laien'“-Diskussion (ich schreibe den Namen so, weil er so toll passt): Kriegt mehr Kinder! Wir sterben aus, und wir wollen doch von unseren Enkeln ernährt werden…

    Jetzt ist die siebenfacher Laien-Mama Arbeitsministerin, aber sie tutet kein neues Horn. Denn jetzt sieht sie, dass für die vielen Kinder, die sie gern hätte, eigentlich kein Arbeitsplatz mehr da ist. Noch mehr Bewerber auf dem „Arbeitsmarkt“ bedeutet im Grunde nur mehr (Billig-) Lohnsklaverei.

    Zum Glück gibt es unbeirrte Prinzessinnen, die für Lau versuchen, ein wenig Klärung in die Welt zu bringen.
    Weiter so.
    Anders van Zommeren

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