Archiv für Februar, 2010
Zahlen zum Missbrauch von ALG2
Web.de titelt massenwirksam gleich oben auf der Startseite "Missbrauch von Hartz IV nimmt zu". Differenzierter geht die Welt die Sache an: "Zehntausende Hartz-IV-Empfänger unter Verdacht".
Und was gibt es dazu tatsächlich an Zahlen?
2009 sind 165.000 Straf- und Bussgeldverfahren eingeleitet worden, 1,8 Prozent mehr als 2008. Laut der FR, die unter der gemäßigteren Überschrift "Missbrauch bei Hartz IV nimmt leicht zu" berichtet, ist der Zuwachs auch auf eine gestiegene Personaldecke der Jobcenter zurückzuführen, die jetzt mehr Luft für die Verfolgung haben.
Die Zahl der Fälle, die wegen des Verdachts auf Schwarzarbeit an den Zolll übergeben wurden, stieg um 1,09% (selbst errechnet anhand der in den genannten Quellen + SZ berichteten Zahlen) auf 39.000, den Quellen zufolge ein Zuwachs von 4,9%. Wohlgemerkt, wegen des Verdachts.
13.000 Fälle wurden an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, bei "einem begründeten Straftatbestand" (SZ) bzw. dem Verdacht auf eine Straftat (FR). Auch die Staatsanwaltschaft wird da nochmal ermitteln (müssen), auch da ist noch nichts fix.
126.000 der Verfahren wurden auch zuende bearbeitet, bei rd. 27% erließen die Jobcenter daraufhin selbst ein Verwarnungs-/Bußgeld, das im Schnitt 107 Euro betrug. Rund 14% der Fälle wurden verwarnt, ohne ein Bußgeld zu verhängen. (FR) Zusammen schon mal 41% der bearbeiteten Straf- und Bussgeldverfahren. Insgesamt wurden laut Welt in 74.000 Fällen Bußgelder in einer Gesamthöhe von 3,7 Millionen Euro verhängt, im Schnitt also grade mal 50 Euro. Grade mal, sicher weniger für die Betroffenen, aber grade mal hinsichtlich der Volksseele, die Gerechtigkeit ja an der Schwere der Strafe misst und die Sozialschmarotzer am liebsten lynchen würde – für 50 Euro Bußgeld kann man 1,25x schwarzfahren, beispielsweise.
Vor allem über Abgleichsverfahren, so die FR, sei festgestellt worden, dass 2009 ca. 72,2 Millionen Euro zuviel an Leistungsempfänger ausgezahlt worden seien – 13,6 % weniger als im Vorjahr. 72,2 Millionen klingt viel, geht aber im Gesamtvolumen von ALG2 unter. Der Jahresbericht, über den berichtet wird, liegt anscheinend noch nicht öffentlich vor, wohl aber der von 2008: Da wurden 38,2 Milliarden Euro für ALG2, Kosten der Unterkunft, Eingliederungsleistungen und Verwaltung ausgegeben.
Und die Gesamtmissbrauchsquote? Weltwirtschaftserschütternde 1,9 Prozent.
Nicht nur aufgrund dieser Zahlen hat Thomas Öchsner ganz recht, wenn er in der SZ kommentiert, es sei
unfair, alle Hartz-IV-Empfänger zu diskriminieren und als Faulenzer zu
beschimpfen. Die große Mehrheit sucht verzweifelt einen Job, findet
aber keinen, weil es in der Privatwirtschaft nicht genügend Arbeit
gibt. Es ist deshalb reiner Populismus, eine Arbeitspflicht für
Arbeitslose zu fordern.