G8-Auftaktdemo in Rostok


Nein, ich kann es mir beim besten Willen nicht zur Gänze verkneifen, mir – obwohl auch mit schlechtem Gewissen und auch ein bißchen heimlich – doch gehörig ins Fäustchen zu lachen, dass trotz aller medialen Verblödung und aller Diskreditierung und versuchter Verhinderung jedweder Protestformen außer einem erfeulich großen kulturgestützen und friedlichem Demohappening eben doch auch gehöriger Rabatz gemacht wurde: Auch Deutschland ist kein ruhiges Hinterland.

Die Kehrseite ist daran natürlich, dass die Gewalt auch die eigenen Reihen traf und von einigen Ausübenden nicht gezielter und kontrollierter eingesetzt wurde als von den Staatskräften, denen man dies immer so gerne vorhält.

Und selbstverständlich führt auch jede Ausschreitung neben der beschissen schlechten Presse, die sich dann wieder einmal mehr darauf konzentriert als auf die Inhalte der Gegenbewegung (mal global als Gesamtkonstrukt betrachtet), auch dazu, dass den Verfechtern repressiver Einschränkungen der demokratischen Freiheiten, in die Hände gespielt wird und die sich jetzt hinstellen (bzw. hinsetzen) können, und sagen: "Wir haben es ja gleich gesagt". Auf rd. 1000 Verletzte auf beiden Seiten nur nach der Einstiegskundgebung hin wird die Gegenwehr gegen Demoverbote schwieriger und der Rechtfertigungsdruck für friedliche Protestformen größer.

Ein großes Argument gegen den Versuch, über die gleichen Medien zu kommunizieren wie die Kräfte, die man zu bekämpfen versucht, liefert der Spiegelfechter mit Zitat und Videolink – was der Spiegel da propagierte, kann man nicht mehr als Versehen erachten. Da bin ich wohl auch schon zu sehr Verschwörungstheoretiker, als dass ich da an blanke Schlamperei glauben könnte, wenn schlichtweg falsch und komplett sinnentstellend übersetzt wird, und der O-Ton dabei unterschlagen wird um letztlich eine Richtung in der Berichterstattung zu untermauern. Mittlerweile wurde das zwar korrigiert, aber was 23h verbreitet wurde, setzt sich erstmal fest. Das Dementi gibt weniger Sensation her und wird ggf. auch nicht mehr so viele erreichen. Von der Ausrede ganz zu schweigen.

Fast schon interessanter als die Artikel lesen sich die Kommentarmassen bei Indymedia. Falls stimmt, dass sich die Polizei zu Beginn der Demo so massiv zurückgehalten hat, wie einige schreiben, kann man erstmal nur seinen Hut ziehen. Ich kenne das auch anders, kenne auch das irreale Gefühl, einem BFE/USK gegenüberzustehen, der qua Instruktion (und Indoktrinierung?) zu keiner Kommunikation bereit ist, sich nicht im ruhigen Tonfall ansprechen lässt, sondern glattweg durch einen hindurchschaut. Mal ganz davon abgesehen, dass von einer nicht nur durch Uniform und Kampfausrüstung sondern auch durch Verhalten manifestierten Entmenschlichung auch eine Eigengefährdung für die Polizisten ausgeht, auch durch sowas fällt die Beißhemmung beim potentiell gewaltbereiten Gegenüber. Aber davon wieder weg. Sollten also die Berichte aus den Indy-Kommentaren korrekt sein, dann verlief die Demo zu Anfang tatsächlich von beiden Seiten vorbildlich.

Zu Anfang.
Von welcher Seite die Eskalation dann ausgelöst wurde, ausging, maße ich mir von der Ferne nicht an, beurteilen zu können. Da hoffe ich auch gar nicht, dass es irgendeine neutrale Berichterstattung geben könnte, die das glaubhaft darstellen würde. Dazu sind wie oftmals die Fronten zu verhärtet und die Chance, auf Unbeteiligte Zeugen zu treffen minimal. In der Folge der ersten Eskalation – irgendwie muss es ja begonnen haben – haben aber offensichtlich dann wieder beide Seiten ihre Minuspunkte zu verbuchen. Auf Seiten der Demo und der Demonstranten wurden Täter willentlich und/oder Unwillentlich gedeckt und nicht ausgeschlossen, separiert, wobei ich da auch schwerlich sagen kann, ob in einer Demo von mehreren Zehntausenden das möglich wäre. Von Seiten der Polizei, und da glaube ich auch eine Quintessenz aus diversen Berichterstattungen herauslesen zu können, wurde aber im gleichem Moment auch unverhältnismäßig heftig und damit auch übertrieben reagiert, überreagiert, so reagiert, dass aus der REaktion wieder Aktion wurde.

Den Theorien/Erzählungen von agents provocateurs, die in der Demo platziert worden waren, kann man Glauben schenken oder nicht – das hängt wahrscheinlich von der Neigung des Rezipienten ab. Die Möglichkeit zu verleugnen halte ich aber auch für naiv. Allein aus der Anschauung, wie rechtslastige/-radikale Gruppen im Vorfeld von G8 massiv ebenfalls gegen den Gipfel agierten und sich dabei einer Argumentation bedienten, die unreflektiert und oberflächlich der Argumentationen der Linken nicht mal allzu unähnlich erscheint, erschließt sich auch der Gedanke, dass außer polizeilichen Aufrührern mglw. auch Kräfte von rechts als mögliche Provokateure aus dem Inneren der Demo infrage kommen. Ich sage nicht, dass es so war oder dass ausschließlich "Fremdpersonen" aus der Demo mit Gewalt begonnen, aber ich sage auch nicht, dass es nicht so war oder dass ich die Möglichkeit nicht in Betracht zöge. Und dummerweise findet sich ohnehin schon in jeder Gruppe, und sei sie noch so klein, immer derjenige, dem die Mittel nicht weit genug gehen, der mehr Spass an Riots und Randale hat. Erst recht sind diese Umtriebigen dann in einer Menge zwischen 20.000 und 80.000 Menschen (je nach Quellenangabe) leider zu erwarten.

Und nochmal ganz unabhängig davon, ob oder wie ich mich zu aktuellen Geschehnissen positioniere, komme ich um Eines nicht herum. Die Idee, politische Geschehnisse im Gespräch, am Tisch oder durch friedliche Bekundung der anderslautenden Meinung zu verändern, die ist naiv. Das funktioniert schon nicht auf lokalster Ebene, wie soll es auf globaler funktionieren können. Ist man dem politischen Gesamtsystem nahe genug, schluckt und assimiliert es einen. Steht man weit genug entfernt ihm kritisch gegenüber, wird man bestenfalls ignoriert oder aber in Misskredit gebracht. Die Zeiten, wo man händchenhaltend und Liedchen singend eine anrückende Polizeitruppe aufhalten konnte ohne dabei kassiert zu werden, sind vorbei, wenn es sie denn überhaupt jemals gab. Ich legitimiere nicht jegliche Form von Gewalt, und Steine auf die Bauern zu schmeißen, die den falschen Beruf gewählt haben, hilft ganz gewiß niemandem weiter. In dem Moment wo Menschen verletzt oder getötet werden, wird eine Grenze überschritten, die nicht überschritten werden darf.

Die Frage ist, wie man die eigene Handlungsentschlossenheit dann sinnvoll untermauert und demonstriert und dabei zeigt, dass man eben nicht nach dem Händchenhalten und Liedchensingen wieder brav nach Hause schleicht und Montag wieder zur Arbeit pilgert als wäre nie etwas gewesen. Mit dem Friedlichbleiben ist über die Jahre nicht so sonderlich viel erreicht worden, außer dass passiver Widerstand auch schon als Landfriedensbruch gilt und geplante Demorouten routinemäßig eingeklagt werden müssen, weil man sonst durch menschenleere Gebiete geleitet würde. Nur was die Alternative ist oder sein könnte … da bin ich derzeit noch ratlos. Latschdemos sind es nicht, aber blanke hooliganeske Randale ist es mit Sicherheit auch nicht, man kann nur hoffen, dass sich da irgendwie eine Lösung findet.

Gelesenes hier gesammelt:
TP: Demonstration gegen G8-Gipfel endete in Militanz
TP: Bericht eines Demonstranten aus Rostock
indymedia: Rostock: Polizei gewaltausloesendes Element
spiegelfechter.com: spon-strickt-an-der-rostock-legende
indymedia: Zehntausende bei Auftaktdemo gegen G8-Gipfel
indymedia: Agenturfotograf von Polizist verprügelt
zappi: rostock-ein-sommerschlachtstraum/
politblog: eskalation-polizei-inszeniert-buergerkrieg
korrupt: mit-friedlichen-mitteln-erreichen-wir-nichts
dobschat: wie-bescheuert-seid-ihr-eigentlich
Junge Welt: Unsere Militanten

 

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