Lärmbelästigung wegklagen


Was haben die (zumindest mittelgradig) wohlhabende Gentrifizierungsmittelschicht im Prenzlauer Berg und Bewohner eines idyllischen thüringischen Dorfs (aber nicht nur die) gemeinsam?

Sie ziehen erst wo hin, um dann wesentliche Elemente, die das Flair, das sie gerade beim Umzug suchten, hernach wegzuklagen.

Und der Irrsinn daran?

Sie kriegen Recht (in Berlin), oder der Streit tobt trotz Zugeständnissen immer noch (in Thüringen). Urteile aus anderen Gegenden wider Hahnengeschrei oder Gebimmel von
Kuhglocken gibt es vielfach.

Dabei wollen mir zwei Dinge einfach nicht in den Kopf.

1) Auf die Gefahr hin, als total unempathisch und subjektiv dazustehen. Sicherlich ist das Lärmempfinden des Einzelnen ein ungeheuer subjektives Maß. Ich bin selbst gg. bestimmte Formen von Lärm sehr empfindlich, zugegeben. Andererseits hab ich im Lauf meines Lebens an Hauptverkehrs- und Durchgangsstraßen, in direkter Nachbarschaft zu Schulen, Kindergärten, freiwilligen Feuerwehren (Sirene olé!, und wer erinnert sich noch an die regelmäßigen Sirenenproben?), Hallen mit gelegentlichen, lautstarken und bis in den frühen Morgen andauernden Veranstaltungen und etlichen Kirchen gewohnt und auch prächtig geschlafen, zu jeder Tages- und Nachtzeit (OK bei den Parties hab ich manchmal auch zur resignativen Hinnahme gegriffen und kurzerhand mitgefeiert bis dort keiner mehr stand). Zur Glanzzeit meines quasi klagewürdigen Lärmbelästigungspotentials ca. 50m Luftlinie von einer größeren Kirche mit prächtigem Geläut, drei Mal täglichem sog. liturgischem Läuten von etlichen Minunten plus viertelstündlichem Zeitschlag rund um die Uhr. Wer das erste Mal bei mir übernachtete, stand morgens früh um 6 schon mal im Bett stramm, erst recht montags, wenn die Metzgerei gegenüber die Schweine ihrem Ende zutrieb, was nicht minder gut hörbar war. Nach einigen Minuten weckte mich dann die Unruhe neben mir und ich murmelte verschlafen, die seien doch gleich fertig und zum Aufstehen wäre es doch noch etwas früh. Wenn ich gelegentlich nochmal in der Gegend übernachte, überhöre ich selbst nach Jahren der Abstinenz immer noch sämtliches Glockengeläut.
Was ich sagen will ist, man kann sich doch an erheblich mehr gewöhnen als man sich im ersten Moment vorstellen kann. Geht natürlich nicht, wenn man sich erheblich echauffiert, wenn der jeweilige Lärm zu hören ist. Unter entspannten Bedingungen ist das aber kein Staatsakt. Und die entspannte Haltung kann man sich auch bewusst zulegen, und auch da sprech ich aus Erfahrung.

2) Nach der grundsätzlichen Überlegung zu subjektivem Lärm jetzt der Punkt, den ich nun wirklich nicht einsehe. Da winkt ein florierendes Viertel voller „Szene“ und Leben oder wahlweise eine klischeehafte Bilderbuchidylle wie aus dem Heimatfilm. Es wird festgestellt, das entspricht dem momentanen Lebensentwurf, da will ich unbedingt wohnen. Gesagt,  getan, hingezogen. Offenkundig unüberlegt und unbesehen und in Unkenntnis der örtlichen Gepflogenheiten. Denn sonst könnte es ja nicht passieren, dass man von für den jeweiligen
neuen Wohnort völlig typischen, aber auch völlig untragbaren Lärmen überrascht wird. Unerschrocken wird dann aber zur Klage gegriffen, denn es kann ja nicht sein, dass die  Idylle/Szene nicht nur imagewirksam und sicht- sondern auch direkt hörbar wird, bzw. ausgereifter formuliert von A. Holm sind es offenbar:

„Ansprüche“, die Nachbarschaft nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Abgeleitet werden diese Ansprüche offenbar direkt aus dem Privateigentum – so sind die  Klagekonstruktionen im Falle des Knaack-Clubs und des Hirschhofs direkt mit dem Eigentümerstatus verbunden.  In mehr oder minder klassischer NIMBY-Manier (Not In  my Backyard) wird gegen alles geklagt, was den eigenen Lebensstil beeinträchtigen könnte.

Idiotisch genug bis hierher.
Die eigentliche Idiotie ist aber, dass dieser Gehirnerweichung zu oft auch noch stattgegeben wird, anstatt mehr oder weniger generell zu dem Schluß zu kommen: „Bist doch selbst  schuld, genau das wolltest du doch haben, genau das hast du bekommen, komm damit klar oder zieh in die Vorstadt, da gibt ’s das nicht, nur ruhige Eigenheimchen.“

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